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Dienstag, 6. Juni 2023
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Urs Allemann. bis vor kurzem Leiter der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention
In Winterthur hat eine Fachstelle Erfahrung im Umgang mit Extremismus. Betroffene sollen gestärkt und nicht
Extremismus Ein Schüler verweigert seiner Lehrerin den Handschlag. Er hat sich zum Islam bekehrt, dies in einer Zeit, als mehrere junge Menschen nach Syrien reisen, um für einen Islamischen Staat zu kämpfen. Die Schule zieht eine Präventionsfachstelle bei. Sie rät, mit dem Jungen in Kontakt zu bleiben. Es folgen Gespräche. Die Schule baut ein Helfernetz um den Schüler auf. Es stellt sich heraus, dass der anstehende Schulabschluss für den Jungen einen grossen Stress mit sich bringt. Nachdem die Schule dieses Problem angeht, entspannt sich die Lage.
Dies ist ein anonymisiertes Fallbeispiel aus dem Buch «Radikalisierung in der Schweiz», dem Handbuch der Präventionsstellen Genf, Basel, Bern und Winterthur. Das neu erschienene Buch fasst die Tätigkeit der vier Fachstellen zusammen. Es gibt einen Einblick in das alltägliche Geschäft der Präventionsstellen.
Es scheint etwas zufällig, dass sich ausgerechnet die Städte Genf, Basel, Bern und Winterthur zusammengeschlossen haben. Urs Allemann, bis vor einem Jahr Leiter der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention in Winterthur, blickt auf das Jahr 2014. Ein Winterthurer Geschwisterpaar reist nach Syrien. Dazu kommen die Vorfälle in der An'Nur-Moschee. «Das führte zu einem Medienhype. Winterthur galt plötzlich als Dschihadisten-Hochburg», sagt Allemann. Aus dieser Notsituation entstanden die Fachstelle sowie die Zusammenarbeit mit Städten, die vor ähnlichen Problemen standen.
Die Winterthurer Fachstelle befasst sich laut Allemann mit jeder Art von Extremismus, gleich ob von links oder von rechts, gleich ob christlicher oder islamischer Fundamentalismus. Wobei die Frage, was denn Extremismus ist, gar nicht so leicht zu klären ist. «Extremismus und Radikalismus sind als Begriffe wissenschaftlich nicht definiert. Wir arbeiten trotzdem damit», sagt Allemann. Extrem bedeutet vom Wort her schlicht weit weg, gemeint ist: weit weg von der Mitte einer Gesellschaft und ihrem Konsens. Doch auch dieser ist nicht fix. Einst war sich die Wissenschaft einig, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Galileo Galilei war ein Extremist, der genau das Gegenteil behauptete. Extremisten sind oft einfach diejenigen, die anderer Meinung sind.
«Die rote Linie ist das Gesetz», sagt Allemann. Wenn in einem besonderen Fall eine Gesetzesübertretung droht, muss die Intervention greifen. «Etwa zehn Prozent der Fälle, die uns gemeldet werden, sind sicherheitsrelevant», so Allemann. Das bedeutet laut Allemann, dass es Anzeichen für einen bevorstehenden Gesetzesbruch gibt oder bereits illegale Taten erfolgt sind. Ein krasses Bespiel wäre, wenn jemand illegal Waffen beschafft hätte, und aufgrund seiner Radikalisierung damit zu rechnen wäre, dass diese Waffen eingesetzt werden. Auch eine Selbstgefährdung kann in einem solchen Fall ein Grund sein, Präventionsmassnahmen zu ergreifen.
In der Schweiz gibt es Gesetze, die eine gewisse politische Haltung vorgeben. Zum Beispiel die Rassismusstrafnorm. «Wer sich fremdenfeindlich äussert, den zählen wir eher zu den selektiven Fällen. Das heisst, es sind noch keine gefährlichen illegalen Taten erfolgt», sagt Allemann. Auch das Fallbeispiel am Anfang dieses Artikels gehört in diese Kategorie. «Im Bereich der selektiven Fälle können wir nach unserer Beratung meistens Entwarnung geben.» Trotzdem bewegt sich die Präventionsstelle auch im politisch-ideologischen Bereich. «Gedanken sind rechtlich geschützt», sagt Allemann. Wenn die Fachstelle mit rassistischen oder sogar nationalsozialistischen Äusserungen konfrontiert ist, gerät sie in einen Zwiespalt. «Gesinnung reicht nicht, um jemanden einzusperren. Integration wäre besser», sagt Allemann.
Bei einer Intervention setzt die Fachstelle deshalb als Erstes darauf, den Kontakt mit dem oder der betroffenen Person aufrechtzuerhalten. «Radikalisierungen verlaufen oft dynamisch», sagt Allemann: «Ein Ausschluss aus der Gesellschaft erhöht das Risiko.» Darum bezieht die Fachstelle das Umfeld stets mit ein. Sie stärkt Lehrpersonen, Arbeitsstellen, Sportclubs oder Verwandte mit Informationen. Die beiden Mitarbeitenden der Fachstelle schlagen Gesprächsstrukturen vor, um den Austausch mit der sich radikalisierenden Person zu ermöglichen. Diese soll sich verstanden fühlen.
Ziemlich genau vor einem Jahr nahmen die Schweizer Stimmberechtigten das Gesetz über «Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» an. Dieses Gesetz erlaubt es, Menschen, ohne dass sie ein Vergehen begangen haben, bis zu einem Jahr zu Hause einzusperren. Dass es ein Zuviel an Prävention geben kann, hält Allemann für möglich. «Wir haben aber bisher keine Auswirkungen des neuen Polizeigesetzes bemerkt. Der Fall, dass jemand aus Angst vor polizeilicher Verfolgung unsere Fachstelle meidet, ist aber denkbar.»
Laut Allemann gehört es zum Charakter der Fachstellen zur Extremismus- und Gewaltprävention, Probleme nicht grösser zu machen als sie sind. «Unsere Aufgabe ist es, Konflikte herunterzufahren.» Im Übrigen anonymisiert die Fachstelle ihre Fälle. Im Gefährdungsfall besteht die Möglichkeit Fälle im Rahmen des Kantonalen Bedrohungsmanagements anonym mit der Polizei einzuschätzen. «Wir sind keineswegs der verlängerte Arm des Schweizer Staatsschutzes», sagt Allemann. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Fachstelle in Winterthur im Sozialdepartement unter Nicolas Galladé angesiedelt ist. Das ist in anderen Städten nicht immer der Fall.
Urs Allemann hat inzwischen den gesamten Fachbereich Prävention der Stadt Winterthur übernommen. Die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention leitet neu Serena Graf.
Christian Felix
Urs Allemann. bis vor kurzem Leiter der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention
In Winterthur hat eine Fachstelle Erfahrung im Umgang mit Extremismus. Betroffene sollen gestärkt und nicht
Extremismus Ein Schüler verweigert seiner Lehrerin den Handschlag. Er hat sich zum Islam bekehrt, dies in einer Zeit, als mehrere junge Menschen nach Syrien reisen, um für einen Islamischen Staat zu kämpfen. Die Schule zieht eine Präventionsfachstelle bei. Sie rät, mit dem Jungen in Kontakt zu bleiben. Es folgen Gespräche. Die Schule baut ein Helfernetz um den Schüler auf. Es stellt sich heraus, dass der anstehende Schulabschluss für den Jungen einen grossen Stress mit sich bringt. Nachdem die Schule dieses Problem angeht, entspannt sich die Lage.
Dies ist ein anonymisiertes Fallbeispiel aus dem Buch «Radikalisierung in der Schweiz», dem Handbuch der Präventionsstellen Genf, Basel, Bern und Winterthur. Das neu erschienene Buch fasst die Tätigkeit der vier Fachstellen zusammen. Es gibt einen Einblick in das alltägliche Geschäft der Präventionsstellen.
Es scheint etwas zufällig, dass sich ausgerechnet die Städte Genf, Basel, Bern und Winterthur zusammengeschlossen haben. Urs Allemann, bis vor einem Jahr Leiter der Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention in Winterthur, blickt auf das Jahr 2014. Ein Winterthurer Geschwisterpaar reist nach Syrien. Dazu kommen die Vorfälle in der An'Nur-Moschee. «Das führte zu einem Medienhype. Winterthur galt plötzlich als Dschihadisten-Hochburg», sagt Allemann. Aus dieser Notsituation entstanden die Fachstelle sowie die Zusammenarbeit mit Städten, die vor ähnlichen Problemen standen.
Die Winterthurer Fachstelle befasst sich laut Allemann mit jeder Art von Extremismus, gleich ob von links oder von rechts, gleich ob christlicher oder islamischer Fundamentalismus. Wobei die Frage, was denn Extremismus ist, gar nicht so leicht zu klären ist. «Extremismus und Radikalismus sind als Begriffe wissenschaftlich nicht definiert. Wir arbeiten trotzdem damit», sagt Allemann. Extrem bedeutet vom Wort her schlicht weit weg, gemeint ist: weit weg von der Mitte einer Gesellschaft und ihrem Konsens. Doch auch dieser ist nicht fix. Einst war sich die Wissenschaft einig, dass sich die Sonne um die Erde dreht. Galileo Galilei war ein Extremist, der genau das Gegenteil behauptete. Extremisten sind oft einfach diejenigen, die anderer Meinung sind.
«Die rote Linie ist das Gesetz», sagt Allemann. Wenn in einem besonderen Fall eine Gesetzesübertretung droht, muss die Intervention greifen. «Etwa zehn Prozent der Fälle, die uns gemeldet werden, sind sicherheitsrelevant», so Allemann. Das bedeutet laut Allemann, dass es Anzeichen für einen bevorstehenden Gesetzesbruch gibt oder bereits illegale Taten erfolgt sind. Ein krasses Bespiel wäre, wenn jemand illegal Waffen beschafft hätte, und aufgrund seiner Radikalisierung damit zu rechnen wäre, dass diese Waffen eingesetzt werden. Auch eine Selbstgefährdung kann in einem solchen Fall ein Grund sein, Präventionsmassnahmen zu ergreifen.
In der Schweiz gibt es Gesetze, die eine gewisse politische Haltung vorgeben. Zum Beispiel die Rassismusstrafnorm. «Wer sich fremdenfeindlich äussert, den zählen wir eher zu den selektiven Fällen. Das heisst, es sind noch keine gefährlichen illegalen Taten erfolgt», sagt Allemann. Auch das Fallbeispiel am Anfang dieses Artikels gehört in diese Kategorie. «Im Bereich der selektiven Fälle können wir nach unserer Beratung meistens Entwarnung geben.» Trotzdem bewegt sich die Präventionsstelle auch im politisch-ideologischen Bereich. «Gedanken sind rechtlich geschützt», sagt Allemann. Wenn die Fachstelle mit rassistischen oder sogar nationalsozialistischen Äusserungen konfrontiert ist, gerät sie in einen Zwiespalt. «Gesinnung reicht nicht, um jemanden einzusperren. Integration wäre besser», sagt Allemann.
Bei einer Intervention setzt die Fachstelle deshalb als Erstes darauf, den Kontakt mit dem oder der betroffenen Person aufrechtzuerhalten. «Radikalisierungen verlaufen oft dynamisch», sagt Allemann: «Ein Ausschluss aus der Gesellschaft erhöht das Risiko.» Darum bezieht die Fachstelle das Umfeld stets mit ein. Sie stärkt Lehrpersonen, Arbeitsstellen, Sportclubs oder Verwandte mit Informationen. Die beiden Mitarbeitenden der Fachstelle schlagen Gesprächsstrukturen vor, um den Austausch mit der sich radikalisierenden Person zu ermöglichen. Diese soll sich verstanden fühlen.
Ziemlich genau vor einem Jahr nahmen die Schweizer Stimmberechtigten das Gesetz über «Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» an. Dieses Gesetz erlaubt es, Menschen, ohne dass sie ein Vergehen begangen haben, bis zu einem Jahr zu Hause einzusperren. Dass es ein Zuviel an Prävention geben kann, hält Allemann für möglich. «Wir haben aber bisher keine Auswirkungen des neuen Polizeigesetzes bemerkt. Der Fall, dass jemand aus Angst vor polizeilicher Verfolgung unsere Fachstelle meidet, ist aber denkbar.»
Laut Allemann gehört es zum Charakter der Fachstellen zur Extremismus- und Gewaltprävention, Probleme nicht grösser zu machen als sie sind. «Unsere Aufgabe ist es, Konflikte herunterzufahren.» Im Übrigen anonymisiert die Fachstelle ihre Fälle. Im Gefährdungsfall besteht die Möglichkeit Fälle im Rahmen des Kantonalen Bedrohungsmanagements anonym mit der Polizei einzuschätzen. «Wir sind keineswegs der verlängerte Arm des Schweizer Staatsschutzes», sagt Allemann. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass die Fachstelle in Winterthur im Sozialdepartement unter Nicolas Galladé angesiedelt ist. Das ist in anderen Städten nicht immer der Fall.
Urs Allemann hat inzwischen den gesamten Fachbereich Prävention der Stadt Winterthur übernommen. Die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention leitet neu Serena Graf.
Christian Felix
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